In meiner Gegend gibt es ein Frau-Hund-Gespann, dem ich hin und wieder begegne. Der Hund ist ein kleiner Fell-Puschel mit spitzem Schnäuzchen und knapp 20cm Schulterhöhe. Wann immer ich ihm über den Weg laufe, ringt er enthusiastisch mit seiner Leine. Eingeklemmt zwischen seinen gefletschten Beißerchen, schlägt er sie ruckartig hin und her, als ginge es um die letzte Wurst auf Erden. Dieser Hund ist eins mit seiner Tätigkeit. Er lebt den Moment. Anerkennend nenne ich ihn: Bad Bommel (Bad im Sinne von böse, nicht im Sinne von Sanitäranlagen oder Erholungsgebiet).
Wann immer ich Bad Bommel begegne, hebt das meine Stimmung enorm. Ich bin im Grunde leicht zu amüsieren. Kleine, putzige Wesen mit sinistrer Lache, die sich für Störtebeker oder Mephisto halten – finde ich irre komisch. Das mag daran liegen, dass ich durch Cartoons sozialisiert wurde. Manchmal lässt mich das Gefühl nicht los, ich wäre in einem. Und wenn Du als Cartoon-Figur über ein kleines, putziges Wesen lachst… dann ahnt der Kenner in Dir: Auhah – gleich stehen da neben dir sehr, sehr große Füße; und während du langsam an ihnen empor blickst, wird Dir klar, dass Mutter-Bommel gerade überhaupt keinen Bock hat auf deinen Scheiß. Hmpf!
Lange Rede, kurzer Sinn, daran musste ich denken, jetzt, da überall Corona-Verschwörungs-Gläubige anschlagen. Denn, wann immer ich Verschwörungserzählungen begegne, hebt das meine Stimmung enorm. Es ist dieser Wahnwitz, diese völlig absurden Kompositionen himmelschreiensten Schwachsinns – finde ich irre komisch. Aber plötzlich sehe ich Mutter Haschmichs saure Miene vorm inneren Auge, und die Freude changiert ins Ambivalente. Ich bekomme eine Ahnung davon, wie viele dieser Mumpitz-Spezialisten es gibt.
Auf den sogenannten »Hygiene-Demos« protestieren sie gegen Maßnahmen, die ohnehin schon weitgehend gelockert wurden, gegen eine nicht reale Impfpflicht und andere dermaßen irreale Dinge, dass man mit ihnen einen Unwahrscheinlichkeitsantrieb füttern könnte. Dabei sind wir hier weder in 1984, noch in Viktor Orbáns Vorgarten. Grundrechte-Panik unter den derzeitigen Umständen ist wie wenn nach dem Flugzeug-Absturz ein demolierter Passagier aus dem brennenden Wrack geschleppt wird, und der poltert: »Belästigung! Nehmen Sie sofort Ihre Drecksgriffel weg! – Nein, lassen Sie die Anderen liegen; Ich will in mein Hotel!«
Sicher gibt es einige rücksichtsvolle Demonstranten, die in einer schwierigen Lage sind und der Politik sagen wollen: Kümmert Euch mehr um uns! Die sieht man aber so schlecht, neben dem großen Rest an entrückten Egomanen, Extremisten und völlig Irren. Die Übergänge sind fließend; und alle wollen unbedingt auch mal was sagen. Sie rufen nach ihrer Freiheit; während sie über die Grenzen der persönlichen Freiheit Anderer hinwegtrampeln, indem sie sie direkt oder indirekt in Gefahr bringen. Einige fallen sogar wahnentbrannt von ihnen ausgemachte Feindbilder an. Es hat was von Tollwut. Übrigens auch eine Viruserkrankung. Komische Fußnote: Einige Spezialisten leugnen die Existenz von Viren generell; schließlich haben sie noch nie welche gesehen. Wenn es ganz arg kommt, müssen wir zu drastischen Mitteln greifen. Wir weisen sie daraufhin, dass man Sauerstoff auch nicht sehen kann – dann stockt ihnen der Atem.
Viele Virologen teilen sich mit ihrem Forschungsgebiet aktuell ein Doppelstockbett, weil sie eh dauernd zusammen hängen. Und nicht nur das Krankenhaus-Personal hofft, dass wir mit unseren Corona-Maßnahmen, die ja bisher vielversprechend verlaufen sind, alles soweit unter Kontrolle halten können, dass die Virus-Opfer eben nicht überall tot über den Zaun hängen. Unsere Wut-Bürger halten sich lieber die Augen zu und denken das Virus findet sie dann nicht. Oder dass es sie eher auf freundschaftlicher Ebene heimsucht. So wie Jean-Claude Junker seine Besucher ohrfeigt. Vielleicht aber gibt es in deren Umgebung auch überhaupt gar keine Zäune. Man weiß es nicht.
Ganz unbedarft betrachtet, sind Verschwörungsmythiker tatsächlich mit Außerordentlichem gesegnet. Sie verfügen praktisch über magische Fähigkeiten
Was immer ihnen missfällt, wird aus dem Weg geleugnet und durch Gefälligeres ersetzt; simsalabim, entsteht vor ihren Augen eine völlig neue Welt. Kein Wunder, dass eine solche Faszination von ihrem Glauben ausgeht. Allerdings drängt sich die Frage auf: Warum erst bei Klimawandel und Pandemien anfangen? Hat man nur ein limitiertes HokusPokus-Kontingent? Wenn der Verwandlungs-Zauber aufgebraucht ist, muss man erst 7 Echsenfüße sammeln, bevor es weitergeht?
Wenn ich Verschwörungszauberer wäre, würde ich aus dem Vollen schöpfen. Einmal Übermut wagen! Ich verleugne den Aufgang der Sonne! Der wahre Tagesanbruch liegt zwei Stunden hinter dem von der Lügenpresse verbreiteten. Nach dem Ausschlafen folgt: Eine ausgiebige »Hygiene-Demo«: Hört, hört! Die Existenz von Körpergeruch ist eine infame Lüge – Der Programmpunkt Duschen entfällt. Meine Frisur ist deutlich als solche zu erkennen und sieht nicht aus, als wenn sich der Hund in irgendwas gewälzt hat. Außerdem: Ab sofort bearbeitet die Waschmaschine nur noch, was sie durch tektonische Klamottenverschiebung erreicht. Denn der Olle-Wäsche-Geruch von mumifiziertem Limburger-Käse in Tiger-Pisse ist bloß eine Verschwörung der Persilianer. Apropos Tiger – Vielleicht postuliere ich auch die menschliche Abstammung von der Katze. Eine Tatsache, die man uns bisher vorenthalten hat. Zwar ist uns im Laufe der Evolution das Fell abhanden gekommen, aber kein Grund auf natürliche Körperhygiene durch sorgfältiges Abschlecken zu verzichten. Bäh! Oh, schon alle, der Zauber.
Was die gewieftesten unter den Virus-Leugner wissen, ist, dass gerade das Grund-Böse nach unserer Freiheit greift, denn man will nicht ein Virus sondern uns unter Kontrolle bringen. Bill Gates unterhält mit schwulen Nazi-Reptiloiden aus Reit im Winkl eine unterirdische Kinderblut-Boutique. Im Vatikan. Der Papst selbst bestreicht die Kinder mit Remoulade, bevor ihnen die Köpfe abbeißt. Bald zwangs-impft man uns alle mit geschrumpften geklonten Wendlern, die solange den Blutkreislauf besingen, bis wir zu willenlosen Zombies werden. Und dann – dann kam noch irgendwas mit ganz viel Geld… Ja, so war das. Also, im Wesentlichen. Wer soll sich das auch alles merken…
Jede anständige Verschwörungstheorie läuft darauf hinaus, dass Leute, die meist schon sehr mächtig und reich sind, auf irrwitzige Weise noch mächtiger und viel, viel reicher werden wollen. Ich finde, es wird zu selten erwähnt, dass Verschwörungserzähler selbst oft anstreben, mächtig und vor allen Dingen, reicher zu werden. Nicht nur die Klicks auf ihre Geschichten sind gewinnbringend. Da wären auch noch käuflich zu erwerbende Schutz-Hütchen, Stärkungspillen, Reptiloiden-Escape-Schlauchbote.… Schwer zu sagen, wer hier im Verhältnis die höhere Gewinnmarge hat – Bill Gates oder die Konspirations-Fuzzies; beim Irrwitz-Faktor sind sie klar auf der sicheren Seite.
Was mich interessiert hat, ist, warum glaubt man an Verschwörungstheorien?
Im Prinzip, weil man sie glauben will. Weil man sich darin fallen lassen kann. Sich von Wogen der Erzählung tragen lassen, statt gegen die Realität anzupaddeln. Kein Zufall mehr, kein Chaos, keine Unsicherheiten. Verschwörungserzählungen geben Unerklärlichem einen Sinn und dem Gläubigen eine stabile Identität. Die Komplexität der Welt wird auf ein leicht begreifbares Maß zusammengeschrumpft. Die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft gibt ein wohliges Gefühl und klare Fronten – wir gegen die, Gut gegen Böse. Aber das Beste ist: Ich werde von meiner Verantwortung befreit. Das Böse allein ist an allem Schuld. Ich kann mich in meiner Opferrolle häuslich einrichten.
Der mit Abstand beliebteste Grund Verschwörungstheoretiker zu werden, ist allerdings die Möglichkeit, sich von der breiten Masse abzuheben. Studien bestätigen, dass Menschen zum Verschwörungsglauben neigen, die ein starkes Bedürfnis haben, sich als etwas Besonderes zu erleben. Sie halten eine (von Forschern erfundene) Verschwörungserzählung dann für glaubhafter, und stimmen ihr zu, wenn diese vorgeblich weniger Anhänger hat. Je weniger Zustimmung also eine Erzählung findet, desto mehr kann ich mit ihr herausstechen.
Warum werden diese Menschen nicht Schriftsteller? Dann könnte jeder seine eigene Erzählung haben, in der er im Mittelpunkt steht. Vom Groschenheft über das C‑Film-Script bis zum Bestseller ist da alles drin. Und als Autor genießt man ja auch ein bisschen den Status des Besonderen. Man kann distinguierte Fotos mit Pfeife auf seine Verschwörungsgeschichten drucken, viele Leute hören einem sogar zu, wenn man aus seinen Erfindungen vorliest; und gelacht wird nur an Stellen, wo es vorgesehen ist.
Ein bisschen mehr Selbstkritik wäre aber schon vonnöten. Ich meine, Bill Gates – ist jetzt nicht gerade ein schillernder Bösewicht. Und dann diese ewigen Wiederholungen: Nazis am Südpol, Nazis in der Erde, Nazis auf der Rückseite des Mondes, Angela Merkel die Tochter von Adolf Hitler… Im Ernst? Das klingt wie das Sende-Programm von N24. Verpassen Sie nicht die neuen Knüller: Nazis in Damenoberbekleidung, Nazis in Weißweinsoße und den all-time-Favorit Nazis in Heiße Höschen auf Elba.
Das vielleicht verrückteste an Verschwörungserzählungen ist, dass sie als Top-Secret-Schocker gehandelt werden. Was haben die nur immer mit diesem »geheim«? Ihr wollt Verschwörung? Wir leben in einer. Eat this: Das System kennt jeden unserer Schritte; es weiß wohin wir gehen, was wir tun und mit wem. Es kennt unsere Vorlieben, unsere Wünsche und Gedanken; es weiß, was unsere besten Freunde wissen und oft mehr als wir selbst über uns wissen. Was sie von uns erfahren, wird meistbietend verkauft; und verwendet um uns süchtig zu machen. Je abhängiger wir werden, desto mehr Zeit verbringen wir damit, dem System noch mehr von uns zu schenken. Das System verwendet all das Wissen, um uns Dinge anzudrehen, die wir nicht brauchen. Sie indoktrinieren uns, befallen uns wie ein Virus, damit wir die Botschaft ganz freiwillig weiterverbreiten – Konsum! Wer Liebe sucht, der kauft. Die Dinge halten nicht lang; sie müssen durch immer neue Dinge ersetzt werden. Reiche werden reicher, Arme ärmer. Der Reichtum basiert auf der Armut Anderer. Der wachsende Reichtum zerstört den Boden, auf dem wir stehen, verseucht die Luft, die wir atmen, vergiftet das Wasser, das wir trinken… Und das war nur die Einleitung (nein, ich würde auch nicht weiterlesen wollen…). Herzlich Willkommen in der realen »Verschwörung«. Daran ist gar nichts geheim; funktioniert trotzdem. Wenn die Verschwörungserzähler ihre ganze Energie darauf verwenden würden, das reale Schlechte anzuprangern, könnten sie vielleicht tatsächlich was erreichen. Aber wenn man so darüber nachdenkt – kann man sie fast verstehen. Ein böses Märchen, bleibt eben immer noch ein Märchen.
Quellen:
COMPACT Education Group (2020): Guide to conspiracy theories, 1.7 Why do people believe in conspiracy theories?
https://conspiracytheories.eu/_wpx/wp-content/uploads/2020/03/COMPACT_Guide‑2.pdf (abgerufen am 23.Mai 2020)
Prof. Dr. Roland Imhoff (2018): Menschen glauben an Verschwörungstheorien, weil sie sich besonders fühlen möchten
https://www.vice.com/de/article/9kg8j3/menschen-glauben-an-verschworungstheorien-chemtrails-echsenmenschen (abgerufen am 23.Mai 2020)
Anthony Lantian u.a. (2017): I Know Things They Don’t Know! The Role of Need for Uniqueness in Belief in Conspiracy Theories
https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1027/1864–9335/a000306 (abgerufen am 23.Mai 2020)
Hintergrund-Foto von Anthony DeRosa von Pexels, Hunde-Foto von 272447 auf Pixabay, Bearbeitung/Collage: Ungeheimes Labor